Kann man Liebe definieren? Vermutlich, wie so vieles, niemals abschliessend. Aber wir können und sollten trotzdem über Liebe sprechen.
Beginnen wir mit einem kleinen sprachlichen Exkurs über den Begriff der Liebe. Was unter Philosoph*innen gemeinhin bekannt sein dürfte, aber offenbar noch nicht seinen Weg in die Köpfe der Mainstreamgesellschaft gefunden hat, ist die Tatsache, dass die alten Griech*innen nicht nur einen Begriff für Liebe hatten, sondern gleich drei (manchmal auch vier) Formen der Liebe unterschieden: 1. Eros 2. Agape 3. Philia und 4. Storge.
Da man im Internet genügend langatmige, akademische Texte über jeden dieser Begriffe findet, will ich mich hier kurz fassen und versuchen, die 4 Liebesformen in einfachen und direkten Worten wiederzugeben. Auch möchte ich anmerken, dass es sich hierbei um meine persönlichen Interpretationen handelt, die ggf. an der einen oder anderen Stelle vom geltenden akademischen Konsens abweichen können.
Eros, Agape und Philia
- Eros Wer nun intuitiv an Erotik und Sex denkt, liegt vollkommen richtig, denn in der Tat leitet sich der Begriff der Erotik vom griech. Eros ab. Eros bezeichnet daher, die körperliche Form der Anziehung, die ich schlicht und ergreifend mit Geilheit übersetzen würde und m. E. nach mehr einen Zustand des Körpers, der sich u. a. durch eine Relaxation der glatten Muskulatur und einer gesteigerten Durchblutung der Genitalien bemerkbar macht. Das lateinische Pendant zu Eros ist übrigens Amor. Die alten griech*innen schätzen Eros schliesslich als die minderwertigste Form der Liebe ein.
- Agape: Agape bezeichnet eine Form der göttlichen oder gottähnlichen Liebe, die an keinerlei (wirklich überhaupt keine) Bedingungen geknüpft ist. Eine Liebe zu der Menschen m. E. nach nicht fähig sind und es, im Sinne der eigenen psychischen Gesundheit, auch nicht sein sollen. Für eine Person, die eine andere Person im Sinne von Agape liebt, wäre es daher völlig in Ordnung, wenn die geliebte Person sie verlässt und nie wieder ein Wort mit ihr spricht und die liebende Person verleumdet. Eine durch und durch selbstlose Liebe ohne jeden Anspruch irgendetwas zurückzubekommen von der geliebten Person. Agape galt bei den alten griech*innen somit als die höchste, göttliche gleichwohl aber für Menschen unerreichbare und hochwertigste Form der Liebe.
- Philia: Wie so oft ist Phila nun irgendwo in der Mitte anzusiedeln. Philia galt bei den Griech*innen daher auch als die einem tugendhaften Leben zuträglichste Form der liebe. Basis der Philia ist gemeinhin das, was wir heute als Freundschaft bezeichnen. Philia kann – muss aber nicht – sexuelle Handlungen zwischen den liebenden enthalten. Aristoteles unterscheidet weiter drei Stufen der Philia:
- a) konditionelle Phila, wobei man eine Person liebt, weil man etwas bestimmtes von ihr als Gegenleistung (Sex, Zuwendung, Unterhaltung, materielle Güter, Treue …) zurückbekommt. Sie galt als die niederste Form der Philia.
- b) Philia, weil es beide erfreut und man miteinander oder aneinander Spass bzw. Freude hat (auch hier kann Sex bzw. Eros ein Bestandteil sein, muss aber nicht)
- c) Philia basierend auf Anerkennung und Bewunderung, welche nach Aristoteles die höchste und am meisten tugendhafte Form der Philia darstellt. Wir werden uns Philia insb. in Kombination mit Eros gleich noch genauer anschauen.
- Storge: Storge bezeichnet gemeinhin die Liebe, fast schon evolutionsbiologisch einprogrammiert anmutende, Liebe unter Familienmitgliedern insb. zwischen Eltern und Kindern, die gemeinhin zwar den Austausch körperlicher Zärtlichkeiten, nicht aber in einem erotischen Sinne, beinhaltet. Während Philia mit Eros koexistieren kann und je nach Interpretation im Idealfall sogar sollte, schliesst Storge eine zusätzliche erotische Liebe, insb. aufgrund des Inzesttabus,zumeist aus. Sorge ist dabei nicht auf blutsverwandte Personen beschränkt und kann sich auch zwischen nicht-verwandten Personen entwickeln und ist daher auch schwieriger von Philia abzugrenzen.
Warum ich Polyphilia der Polyamorie vorziehe?
Wie bereits gesagt wurde, beschreibt Eros die erotische Liebe, bei der das sexuelle Verlangen der Liebenden im Vordergrund steht. Wer schon einmal frisch verliebt war weiss, dass insbesondere zu Beginn der Beziehung, das sexuelle Verlangen nach dem anderen Partner ausgesprochen stark ist. Man möchte am liebsten den ganzen Tag aufeinander rumhoppeln. Hierbei handelt es sich um einen körperlichen, hormonellen Ausnahmezustand der erschreckend ähnlich zu einer Psychose ( hier ein schönes Interview dazu: Paartherapeuten: „Verliebtheit ist die schönste Form der Psychose“ – Familie – derStandard.de › Lifestyle )zu irrationalem Verhalten und insb. zu einer unverhältnismässigen Idealisierung der geliebten Person (die sog. rosa Brille)führt und meistens nach ungefähr 9 – 18 Monaten von alleine beginnt nachzulassen. Nun ist es natürlich möglich, dass sich zu dieser erotischen Liebe eine Philia dazugesellt, oder, wenn das sexuelle Interesse vollends erlischt aus Eros eine Storge erwächst. Oder aber, wenn weder die vertraute Gewohnheit der Storge noch die wertschätzende Anerkennung und Bewunderung ausbleibt, sich die Beziehung einfach auflöst. Da nun Eros (latein: Amor) in seiner reinen Form (also ohne Philia) keine auf längere Zeit angelegte Sache zu sein scheint finde ich den Begriff der Polyamorie unpassend, wenn es darum geht Langzeitbeziehungen, die über die 9 – 18 monatige Phase der Verliebtheit hinausgehen und für gewöhnlich auch gemeinsame Lebenspläne ( das muss nicht Haus, Hund, Kind sein ) inkludieren, zu beschreiben. Demnach beschreibt Polyamorie vielmehr das zeitlich parallele Vorhandensein ausschliesslich (oder allenfalls vorwiegend) erotischer Beziehungen. Polyphilia dagegen, deutet vielmehr an, dass zeitlich parallel mehrere freundschaftliche Liebesbeziehungen geführt werden, was den meisten, auf Nachhaltigkeit angelegten poly-Beziehungen meiner Erfahrung nach schon viel gerechter wird. Selbstredend ist es jedoch auch neben polyphilen Beziehungen möglich zusätzlich erotische Beziehungen zu pflegen. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass die hierbei gegenseitig zugestandene sexuelle Freiheit zwingend mit entsprechend grosser Verantwortung, Stichwort: Safersex, einergeht! Zur freundschaftlichen Liebe gehört schliesslich auch das gegenseitige Beschützen und Schützen.
Ergänzung: Mania, Ludus und Pragma
Der Vollständigkeit zuliebe seien hier noch weitere Formen antiker Liebesbegriffe genannt, die m. E. nach, aber schon sehr abstrahierte, wenn nicht gar pervertierte Formen von Liebe sind.
Mania, oder wie ich sie nenne, die wahnsinnige Liebe, die geprägt ist von Besitz, Verlustangst, Eifersucht und die persöliche Freiheit (insb. die sexuelle Freiheit) der geliebten Person zumeist massiv einschränkt. Die Vorstellung ein legitimiertes, alleiniges Nutzungsrecht der Sexualorgane der anderen Person zu haben, scheint bei der manischen Liebe oft besonders ausgeprägt zu sein.
Ludus, bei der das sexuelle Spiel im Vordergrund steht. Auch hier sehe ich mehr einen mechanischen Vorgang, der analog zum Stuhlgang eine körperliche Notdurft befriedigt. Braucht man dafür wirklich einen anderen Menschen, oder könnte ein hochentwickelter, menschenähnlicher Sexroboter den gleichen Zweck erfüllen?
Pragma, was wohl am ehesten der Zweckehe entspricht und somit vielmehr ein Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaften als der Philosophie ist.
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